Erneuerung Karl-Lehr-Brückenzug: Ein Drama in fünf Akten
Der Karl-Lehr-Brückenzug ist eine wichtige Verbindung zwischen Innenstadt und Ruhrort und den nördlichen Stadtteilen. Seit dem 24.09. ist die Trasse gesperrt, da die Konstruktion erneuert wird.
Beobachtungen und Empfindungen eines Neu-Duisburgers
AKT 1
Kaum kenne ich mich ein wenig in meiner neuen Heimatstadt aus, lerne ich: Der Karl-Lehr-Brückenzug, der zu meinen neuen Standardstrecken gehört, muss grundlegend erneuert werden.
Klar, das versteh´ ich. Ich habe zwar keine Ahnung von Brücken, aber gehe mal davon aus, dass die Maßnahme notwendig und daher richtig ist.
AKT 2
Für die Erneuerung muss die gesamte Trasse mehrere Wochen gesperrt werden, um die alte Brücke abzureißen und Provisorien zu errichten, bevor dann 2025 die neue Brücke fertig montiert in die richtige Position gebracht wird.
Versteh‘ ich. Wie sollte man eine neue Brücke bauen, ohne die alte zuvor weggeräumt zu haben? Dass das zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen führt, scheint mir unausweichlich. Ich gehe davon aus, dass die in der Zwischenzeit nötigen Alternativwege für alle Verkehrsteilnehmenden gewissenhaft und bestmöglich vorbereitet werden.
AKT 3
Drei Monate vor Beginn der Vollsperrung wird klar: Während das neu erstellte Provisorium bereits nach vier Wochen für Notfalleinsätze und ÖPNV durchgehend sowie für Schwerlastverkehr zum Hafen wieder geöffnet wird, ist dem nichtmotorisierten, lokalen Individualverkehr für weitere zwei Monate verboten, die Konstruktion zu nutzen. Stattdessen soll für Fuß- und Fahrradverkehr eine Umleitung angeboten werden.
Also das verstehe ich nun gar nicht: Die Trasse ist wieder nutzbar - aber statt Rad- und Fußverkehr eine Nutzungsmöglichkeit zu schaffen, wird das dem Schwerlastverkehr gestattet, und dem Rad- und Fußverkehr unter Hinweis auf die Gefährdung durch den Schwerlastverkehr verboten. Aber: Es ist doch der Schwerlastverkehr, der den nichtmotorisierten Verkehr gefährden würde, und nicht andersherum. Und wenn eine Freigabe für den Schwerlastverkehr so prioritär ist: Warum wird dann nicht einfach z.B. Tempo 20 auf der Baustelle eingeführt, um die Gefährdung zu reduzieren? Warum wird einseitig motorisierter Verkehr bevorteilt? Das erscheint mir doch Klientelpolitik zugunsten einer einzigen Verkehrsgruppe zu sein. Und eine rückwärtsgewandte noch dazu.
AKT 4
Wenige Wochen vor der Vollsperrung wird klar: Alle angeblich geprüften Optionen, die Situation für Fuß- und Fahrradverkehr erträglich zu gestalten, sind verworfen. Ein zusätzlicher, provisorischer Radweg neben der Trasse: „zu teuer“ laut Planungsdezernent Martin Linne. Die Möglichkeit zur Mitnahme von Fahrrädern im Schienenersatzverkehr per Anhänger oder Fahrradgepäckträger: „zu aufwändig“. Selbst den Schulverkehr scheint man schlichtweg vergessen zu haben…
Sorry Duisburg, aber jetzt stehe ich wirklich auf dem Schlauch: Zehn Kilometer Umweg sind bei meinem Fahrstil und der Baustellenführung sicher mindestens eine halbe Stunde Zusatzaufwand. Ich bin gerne und gewollt Radfahrer. Aber wie machen das andere? Ältere? Weniger Mobile? Diejenigen, die nicht auf Auto oder ÖPNV ausweichen können? Wie ist es um Mobilitätsteilhabe bestellt? Spielt „meine“ emissionsfreie Art der Fortbewegung vielleicht in dieser Stadt noch gar keine Rolle – obwohl Duisburg innerhalb der nächsten zwölf Jahre klimaneutral werden will?
AKT 5
Umleitung ich komme! Schließlich stirbt die Hoffnung zuletzt… aber sie stirbt: Die eingerichtete Umleitung für den Fahrradverkehr ist bestenfalls einfach nur ein schlechter Scherz.
Beim ersten Versuch, die Umleitung zu nehmen, brauche ich etwa eine Stunde, um mich durch das Dickicht aus fehlenden und falschen Beschilderungen zu wühlen. Ich soll hohe Bordsteinkanten und Schotterstreifen überwinden; fahre Wege, die ins Nichts führen und finde mich – welch‘ Ironie - in genau der Gefährdungssituation wieder, für deren Vermeidung ich den Umweg fahren soll: mittendrin im LKW-Verkehr… Am Ende hilft nur eines: Navi raus, die Umleitung kann mich mal.
Mir kommt ein Verdacht: Entweder soll ich die Umleitung gar nicht benutzen - oder es kann sich wirklich niemand in der Stadtplanung vorstellen, dass es diesen ominösen Radverkehr überhaupt gibt. Ich weiß nicht, was ich schlimmer finde. Jedenfalls scheint alles andere als motorisierter Verkehr in dieser Stadt tatsächlich keine Rolle zu spielen. Wie soll ich diese halbherzige – und damit sehr gefährliche – Umleitung sonst verstehen?
CONCLUSIO
Strategie verstanden, Duisburg: Die Menge an nichtmotorisiertem Individualverkehr möglichst klein halten, um die für eine Verkehrswende erforderlichen Aufwände so weit wie möglich in die Zukunft zu schieben. Denn Verkehrswende und echte Teilhabe von nichtmotorisiertem Individualverkehr würden ja Arbeit machen, Geld kosten und ein Umdenken erfordern.
EPILOG: EIN KLEINER LICHTBLICK
Für Autos, Fahrräder und Menschen zu Fuß ist die Brücke leider weiterhin gesperrt.
Wer zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs ist, kann aber während der zweiten Bauphase seit dem 23. Oktober kostenfrei zwischen den Haltestellen „Albertstraße“ und „Tausendfensterhaus“ mit den Bussen mitfahren, um den Baustellenbereich zu überqueren.
Christian Engelking